Zusammenschluss. Rechte und linke Bundestagsabgeordnete unterstützen gleichermaßen die russische These zum Krieg in der Ukraine
Die TEXTY-Ausgabe hat untersucht, was die Bundestagsabgeordneten der beiden Oppositionsparteien Die Linke und Alternative für Deutschland (AfD) über die Ukraine getwittert haben.
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Ihre Einstellungen zu zentralen ukrainischen Fragen stimmen überein, sie sind sich auch bei der Wiederholung russischer Propagandathesen einig.
Die Politiker aus den beiden Lagern kritisieren die deutsche Regierung für Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland.
Doch es gibt auch Unterschiede. Für die Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau setzt sich vor allem die Partei Die Linke.
Und die rechtsgerichtete AfD äußert sich häufiger negativ über ukrainische Flüchtlinge und verbreitet Aussagen, die wir als anti-ukrainisch definiert haben. Die Definition wird weiter unten angeführt.
Der Grund dafür wird von Serhiy Sumlennyi, dem Direktor des European Resilience Initiative Centre in Berlin, erklärt. Ihm zufolge ist die Grundlage für diese Einigkeit die Anti-Establishment-Position beider Kräfte. Die Hauptbotschaften der systemfeindlichen Parteien wie Die Linke und die AfD lauten, dass die derzeitige Regierung der Bevölkerung die Wahrheit vorenthält, dass die NATO einen globalen Kampf gegen alles Gute führt und dass es daher notwendig ist, sich ihr entgegenzustellen. Dieses Modell passt gut zum Bündnis mit Putin, denn die Parteien unterstützen sein Konzept, dass es im Westen keine echte Demokratie gäbe und dass Russland einen alternativen Ansatz bieten könne, bei dem es „echte Wahrheit und Freiheit“ gäbe.
Gegen Waffenlieferungen
Schauen wir mal, welche der beiden Fraktionen aktiver über die Ukraine geschrieben hat.
Die Mehrheit der AfD-Mitglieder (79 % der Mitglieder mit Twitter-Accounts) erwähnte die Ukraine in ihren Beiträgen auf eine oder andere Weise.
Im anderen Lager, der Fraktion Die Linke, twitterte eine geringere Anzahl von Abgeordneten über die Ukraine - etwa 60 %. Diejenigen, die getwittert haben, haben jedoch mehr getwittert als ihre Kollegen vom rechten Flügel zusammen. Insgesamt ist die Zahl der Tweets über die Ukraine bei Die Linke höher: 220 gegenüber 170 bei der AfD.
Nach der Prüfung des Inhalts der Beiträge haben wir sieben Kategorien von Erzählungskonzepten über die Ukraine ermittelt:
- Gegen Waffenlieferungen - Aufrufe, die Ukraine nicht mit Militärhilfe und Waffen zu versorgen
- Friedensverhandlungen - Forderungen nach einem Waffenstillstand und diplomatischen Beziehungen mit dem Aggressor
- Anti-ukrainisch - gegen den Beitritt der Ukraine zur NATO/EU, negative Haltung gegenüber ukrainischen Flüchtlingen, Kritik an der Gegenoffensive und Beschuldigung der Ukraine in deutscher Verarmung, usw.
- Pro-russisch - diejenigen, die russische Propaganda über die Sprengung von Gaspipelines und des Wasserkraftwerks Kachowka verbreiten und die Verantwortung für den Krieg von Russland auf den Westen abwälzen
- Antisanktionen - Äußerungen gegen antirussische Wirtschaftssanktionen
- Asyl für Russen - Aufruf zur Aufnahme russischer Wehrdienstverweigerer und Unterstützung von Auftritten russischer Kulturschaffender
- Kritik an der Tätigkeit des ehemaligen Botschafters der Ukraine in Deutschland Andriy Melnyk
Wir haben auch die Gruppe „Erwähnung der Ukraine“ ausgesondert, die Beiträge enthält, die in keine der oben genannten Kategorien fallen.
Die beliebtesten Themen der Beiträge deutscher Abgeordneter waren Aufrufe gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und der Übergang zu Friedensverhandlungen. Sie schrieben die meisten Tweets zu diesen Themen, und sie erhielten auch die meiste Interaktion mit den Nutzern sozialer Medien; sie hatten viele Likes, Retweets und Diskussionen in den Kommentaren.
Die beiden Parteien kritisieren die deutsche Regierung für die Entscheidung, die Ukraine mit Waffen zu beliefern, und sind überzeugt, dass Diplomatie und Friedensgespräche oberste Priorität haben sollten: „Heute wurden im Bundestag umfangreiche Waffenlieferungen an die Ukraine beschlossen. Die anderen Fraktionen, außer der Linken, übten sich in erschütternder Weise in Kriegs-Rhetorik. Sie sollten zu Friedens-Rhetorik zurückkehren! #niewiederkrieg“, schreibt Karsten Hilse (AfD).
Sie behaupten, dass Waffenlieferungen nur das Risiko einer globalen Eskalation und der Ausbreitung des Krieges auf Westeuropa und insbesondere Deutschland erhöhen: „Eine große Mehrheit der Deutschen lehnt die Lieferung von Waffen – insbesondere Kampfpanzern – an die #Ukraine entschieden ab. Aus gutem Grund, denn das Eskalationspotential dabei ist enorm. Wir müssen alles tun, um einen Krieg mitten in Europa zu verhindern!#AfD“, twittert Gerold Otten (AfD).
Friedensverhandlungen
Ein weiteres heißes Thema ist das Drängen auf Friedensgespräche mit dem Aggressor und eine diplomatische Lösung des russisch-ukrainischen Krieges: „Auch nach Überzeugung führender Militärexperten kann ein Frieden nur am Verhandlungstisch erreicht werden. Die BReg muss sich konsequent für einen Waffenstillstand einsetzen & eine internationale Friedensinitiative unterstützen, um diesen Krieg endlich zu beenden.“, so Amira Mohamed Ali (Die Linke).
Die Linke warb aktiv für die Petition „Manifest für den Frieden“ der Bundestagsabgeordneten Sarah Wagenknecht von der Linkspartei und der Journalistin Alice Schwarzer und rief zur Unterzeichnung auf: „Dieses Manifest & die Friedenskundgebung sind in einer Atmosphäre der Kriegshysterie dringend notwendig. Nach Beendigung des Kalten Krieges begann der Westen damit, das Völkerrecht zu verletzen.“ schreibt Gregor Giese (Die Linke)
Sarah Wagenknecht ist eine deutsche Politikerin, die für ihre Sympathien für den Kreml bekannt ist. Insbesondere hat sie sich in der Vergangenheit für die Auflösung der NATO und die Schaffung eines Sicherheitsbündnisses mit Russland eingesetzt und die Rückkehr Russlands in die G8 gefordert.
Alice Schwarzer ist die Gründerin der Zeitschrift EMMA und eine bekannte deutsche Feministin. In letzter Zeit wurde ihre Position jedoch zunehmend mit der Unterstützung pro-russischer Interessen in Verbindung gebracht.
Nach Angaben der Deutschen Welle bezeichneten mehrere deutsche Medien ihre Petition als „Manifest der Unterwerfung“, in dem die Initiatoren für sofortige Verhandlungen plädieren, da die Ukraine angeblich „einen Krieg gegen die größte Atommacht der Welt nicht gewinnen kann“.
Generell hatte Sarah Wagenknecht von allen untersuchten Abgeordneten den höchsten Anteil (44 %) an den der Ukraine gewidmeten Tweets. Auf ihrer Twitter-Seite wirbt sie aktiv für die Unterzeichnung des Manifests und fordert die Ukraine zu Verhandlungen auf. Die Abgeordnete setzt sich auch für die Einstellung der Lieferungen von Munition, Kampfjets und Panzern an die Ukraine ein.
Wagenknecht meint, dass der Krieg in der Ukraine wegen des Westens und nicht wegen der russischen Truppen auf ukrainischem Gebiet geführt wird. Auf den Abzug des letzten russischen Soldaten zu warten, hält sie für aussichtslos, und die Ukraine und ihre Verbündeten müssten akzeptieren, dass diese Position völlig unrealistisch sei: „Ich war gestern bei #HartAberFair: Wer erst verhandeln will, nachdem d. letzte Russe von d. Krim vertrieben ist, nimmt weitere Eskalation in Kauf & spricht sich für jahrelangen #Krieg aus, d. Tausende weitere Opfer fordert & #Ukraine am Ende völlig zerstört https://www1.wdr.de/daserste/hartaberfair/videos/video-frieden-mit-putins-russland-eine-illusion-100.html..."
Darüber hinaus verbreitet der Abgeordnete russische Propagandanachrichten und beschuldigt die Ukrainer, die Nord-Stream-Pipeline zu gesprengt zu haben: „ARD, ZEIT, SWR bestätigen Washington Post: Bundesregierung wusste früh von den geplanten Anschlägen der #Ukraine auf #Nordstream. Wie kann es sein, dass sie diese Anschläge nicht verhindert & keine Schutzmaßnahmen ergriffen hat?“
Ein weiterer aktiver Mitstreiter, Klaus Ernst, Mitglied der Linken, teilte diese Darstellung: „Laut Washington Post war es ein ukrain. Sonderkomando, das Nordstream 1 & 2 zerstört hat. Der CIA war früh informiert. Jetzt wird klar, warum in Deutschland alles geheim bleiben soll. Ein feindlicher Akt der Ukraine gg. Deutschland. Stimmung könnte kippen“.
Gleichzeitig trat Ernst gegen die Lieferung von Waffen und die Verhängung antirussischer Sanktionen auf, forderte sofortige Verhandlungen und kritisierte die ukrainischen Behörden und die Ukrainer im Allgemeinen: „Selenskyj will uns offensichtlich in einen Atomkrieg treiben. Das ist in höchstem Maße verantwortungslos. Die Bösen in diesem Krieg sind die Russen, die Ukrainer sind aber auch nicht die Guten.“
Asyl für Russen
Die These vom „Asyl für Russen“ wurde am stärksten von Mark Jongen von der Alternative für Deutschland und Jan Korte von der Linken vertreten.
Jongen vertrat die Position, dass die Kunst außerhalb des Krieges bleiben sollte, und verbreitete den Slogan „Keine #Sippenhaft für russische Künstler!..“. Dies war die Reaktion auf die Ereignisse vom 2. März 2022, als der Münchner Oberbürgermeister den Russen Valery Gergiev als Chefdirigenten der örtlichen Philharmoniker entließ und die Bayerische Staatsoper die Zusammenarbeit mit einer weiteren Bürgerin des Aggressorlandes, Anna Netrebko, beendete.
Korte kritisierte unterdessen, dass die deutsche Regierung zu wenig für russische Kriegsdienstverweigerer tue und forderte mehr Asylmöglichkeiten für sie in Deutschland: „Es ist zynisch, dass die Bundesregierung aus @spdde, @Die_Gruenen und @fdp die Dezimierung von Putins Armee durch Waffenlieferungen betreibt, aber nicht durch Unterstützung von Desertion und Kriegsdienstverweigerung. Was ist aus den Versprechen im September 2022 geworden?“
Methodik
Die Daten für die Studie wurden zwischen dem 24. Februar 2022 und dem 7. Juli 2023 heruntergeladen, je 100 Nachrichten pro Person. Bei den Benutzerkonten, die häufig tweeten, wurden die letzten hundert Nachrichten berücksichtigt.
Insgesamt haben wir mehr als siebentausend Tweets und Retweets analysiert, von denen 5% die Ukraine betrafen. Wir berücksichtigten 84 Abgeordnete, da die übrigen 33 Bundestagsabgeordneten dieser Parteien entweder keine Twitter-Accounts haben, diese nicht auf der offiziellen Website des Bundestags aufgeführt sind oder ihr letzter Tweet vor dem 24. Februar 2022 veröffentlicht wurde.
Um relevante Tweets zu identifizieren, d. h. solche, deren Inhalte sich auf die Ukraine beziehen, verwendeten wir BERTopic-Themenmodellierung mit ChatGPT und Stichwortsuche. Der nächste Schritt war die maschinelle Übersetzung der Tweets ins Ukrainische DeepL zur weiteren manuellen Validierung der Themen und Inhaltsanalyse der Beiträge.